Heute lasen Corinna T. Sievers (Gomringer), Ally Klein (Wiederstein), Tanja Maljartschuk (Gmünder), Bov Bjerg (Kastberger) und Anselm Neft (Gomringer).
Wie schon in meinem gestrigen Beitrag werde ich hier keine Zusammenfassung sämtlicher Texte und Jurydiskussionen liefern, sondern einige für mich interessante Aspekte des zweiten Klagenfurter Lesetages herausgreifen. (Die vorgestellten Texte können hier nachgelesen bzw. heruntergeladen werden.)
Die schönheitschirurgische Kiefernorthopädin Corinna T. Sievers ließ in ihrer Geschichte "Der Nächste, bitte!" eine erotomane Zahnärztin zu Wort kommen, die ihrer Phantasie einer durchsexualisierten und enttabuisierten Behandlung im antiseptischen Praxiszimmer freien Lauf läßt. Female pornography als konsequente Umkehrung des männlichen pornologischen Blicks, vorgetragen im Sound einer robotartigen Krankenschwesterstimme. Der Text nötigt seine Leser und Leserinnen weniger durch seine explizite Ausdrucksweise als vielmehr durch seine immanente Kritikabwehr:
Kritisierst du ihn - ob als Mann oder als Frau - fällt es erstmal auf dich zurück: Entweder du bist verklemmt oder zu sehr in vorherrschenden (männlich dominierten) Vorstellungsmustern von Sexualität befangen. Die souveräne, lächelnd vorgetragene Textpräsentation verführt zur Annahme, dies alles sei vielleicht nur ein großer Spaß, ein Spiel mit traditionellen Pornomustern, alles Ironie. Das wäre schön. Schön wäre auch, wenn der Text leistete, was - zudem - laut Videoporträt intendiert ist: eine weibliche Umkehrung des männlichen Blicks. Leider bleibt die beabsichtigte Inversion ihrem Bezugspunkt motivisch zu sehr verhaftet, um eine genuin andere, weibliche Sichtweise auszuleuchten, wie es etwa Jelinek ("Lust") oder Anais Nin - darauf wurde in der Jurydiskussion hingewiesen - unternommen haben.
Der zweite von Nora Gomringer ausgewählte Text wurde von dem lesebühnenerfahrenen Autor Anselm Neft so stimmgewaltig vorgetragen - inklusive Kinder- und Betrunkenenstimmennachahmung -, dass er (der Text) einem teilweise übersteuert um die Ohren flog und Klaus Kastberger zu der Empfehlung führte, dass es sich hier um einen Text handelt, der für Thekenlesungen ausgezeichnet geeignet sei. Erzählt wird von einem Mann, der aus seinem bürgerlichen Leben herausgefallen ist in die Obdachlosigkeit, sich selbst verloren hat und nur noch Halt zu finden scheint in seinem Hund Lucy. Dem Juryvorsitzenden Hubert Winkels erschien der Text überinstrumentiert und erpresserisch, durch sein Pathos und die Vielzahl der Randexistenzmotive zu sehr darauf angelegt, beim Leser ein Gefühl von Mitleid zu erzeugen.
Als Favorit ging der Erfolgsautor Bov Bjerg ("Auerhaus") ins Rennen. Das Diktum - "Nur der arrivierte Autor kann verlieren – weswegen er in der Regel nicht nach Klagenfurt fährt." - scheint Bjerg problemlos widerlegt zu haben. Während seiner Lesung einer Vater-Sohn-Geschichte, die gleichermaßen die Frage nach Herkunft, Heimat und Genealogie thematisiert, war es sowohl im ORF-Studio als auch in der Twitter-Gemeinde nahezu mucksmäuschenstill. Der Applaus in der Jurydiskussion erschien einhellig. Keine Frage, Bjerg ist ein Preiskandidat, ob DER, wird sich erst morgen entscheiden. Verglichen mit dem Text des Gewinners vom letzten Jahr, Ferdinand Schmalz, erschien mir Bjergs "Serpentinen" zu wenig skurril, gewagt, witzig, schräg. Aber das ist ja Geschmackssache.
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