Lektor sein ist sehr supi!

Liebe Kinder,

wenn ihr nicht wisst, was ihr werden wollt, werdet doch einfach Lektor!

Lektor?

Ja, das sind die, "die sich mit den Autoren herumschlagen."

Wir wollen uns aber nicht rumschlagen.

Alles halb so wild. Die meiste Zeit könnt ihr viel schönere Dinge machen. Schön ist - zum Beispiel -, "die erste Seite eines PDF zu öffnen", denn "Manuskripte sind 

Wundertüten."

Hurra! Wir lieben Wundertüten!

Aber es gibt noch Schöneres, nämlich nach New York zu fahren oder nach Los Angeles oder nach London. Die meiste Zeit müsst ihr nach New York fahren.

Ja, das wollen wir! Was sollen wir dann da tun?

Ihr müsst Buchhandlungen besuchen, so etwa eine bis "drei pro Tag."

Easy.

Wisst ihr eigentlich, dass man Buchläden "lese(n)" kann?

Häh?

Ja, "als Selbstporträt der Städte, in die (man) reis(t)."

Müssen wir das auch?

Nein, das müsst ihr nicht. Ihr sollt nur nach Stimmen suchen, "nach Stimmen, die gegenwärtig, markant, einzigartig sind."

Die sind in den amerikanischen Buchläden zu hören?

Ja, genau. Da ist zum Beispiel der "super sortierte Buchladen McNally Jackson in SoHo". Da findet man amerikanische Bestseller "schon in dicken Stapeln", während hierzulande "noch in einer Auktion um die deutschen Rechte" geboten wird.

So-ho früh schon?

Ja, es ist unglaublich.

Und anders kommt man nicht an die Wundertüten?

Doch, auch schon. Die kommen manchmal "von allen Seiten", "Hunderte, Tausende von Manuskripten", von Agenturen geschickt oder von Scouts, "von Autoren, die andere Autoren empfehlen, von Freunden und Bekannten, von Taxifahrern und Kneipenbesitzern und von Wildfremden."

Von Wildfremden?

Ja, das kommt jedoch eher selten vor. Verlasst euch einfach auf euer "wertvolles Netzwerk aus Autoren des Hauses", Scouts, Agenten und Freunden.

Und was ist nun mit den Autoren, mit denen man sich rumschlagen soll?

Die müssen empathiefähig sein.

Häh?

"Empathiefähigkeit (ist) die Schlüsselqualifikation eines jeden guten Autors".

Sollen die nicht nur schreiben können?

Das auch. Und zwar möglichst Texte, "die eine ganz neue, mutige Sprache sprechen, dabei aber keineswegs sperrig und spröde sind",  und die möglichst alle "Fragen beantworten, die ganz kleinen und die ganz großen", und die eine Geschichte aus einer Perspektive erzählen, aus der ich die Welt noch nie betrachtet habe, in einer Sprache zu mir sprechen, die ich vorher noch nicht gehört habe - und die doch etwas in mir zum Schwingen bringt."

Pooh.

Und wie findet man die?

Ist "letztlich immer magischer Zufall".

Kann man gar nix machen?

"Manchmal hilft man jemandem, einen Roman zu schreiben, der es alleine nicht gekonnt hätte. Und wenn es dann ein gutes Buch wird, eines, das zumindest ein bisschen das Universelle erreicht, dann hat man etwas vollbracht. Aber das kommt selten vor."

Ein Lektor vollbringt nur selten was?

Nein-nein. Er hilft nur selten, einen Roman zu schreiben.

Wozu auch, wenn er doch tausende von Manuskripten zugeschickt bekommt.

Genau.

Und ansonsten nur lesen?

Vielleicht auch mal was im Duden nachschauen. Oder sich für die Biographie einer Autorin oder eines Autors interessieren und sich fragen: "Welche geheimen Botschaften lassen sich aus Widmung und Danksagung generieren?"

Sonst noch was?

Mailen, skypen, telefonieren, mit Netzwerkleuten Bier trinken oder auch mal zum Italiener ("Ristorante Il Classico") gehen.

Kein Problem. Das können wir.

Na also.

Irgendwo ein Haken?

Nur ein kleiner: "selbst im Urlaub stehen wir ständig in südeuropäischen oder mittelamerikanischen Buchhandlungen herum und schauen, was wir aufgreifen könnten, und schicken uns gegenseitig aufgeregte SMS.

Urlaub wäre uns schon sehr wichtig.

Klar. Ich denke, es dürfte kein Problem sein, die südeuropäischen und mittelamerikanischen Buchhandlungen zwischendurch auch mal zu verlassen und kurz ins Meer zu hüpfen.

Wir überlegen uns das.

 

Die Zitate sind dem Artikel "Der Instinkt" in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 18.09.2016 (S.41f.) entnommen und stammen von sieben jungen Lektorinnen und Lektoren aus recht gut aufgestellten deutschen Verlagen. - Falls der Artikel noch online gestellt werden sollte, werde ich das hier nachtragen.

 

 

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