Ein Schreibsklave im Verlagskäfig? Nein. Der Verlag, der sich zu dem Projekt "Morgen mehr" entschlossen hat, tat dies zum Besten seines Autors. Der kann nämlich nur arbeiten, wenn Zeit und äußerer Erwartungsdruck ihm die Pistole auf die Brust setzen und er dann vor lauter Schreck nicht mehr an seine vielen Selbstzweifel denken kann.
Zudem ist Tilman Rammstedt in seiner Schreibklausur gar nicht so richtig richtig "alone". Neben dem "Team Hanser", das nächtens die durchschnittlich zwei Seiten des Tagespensums lektoriert, gibt es auch eine Gemeinde aus Abonennten, die für 8 Euro ein Mitlese- und Mitspracherecht erworben haben und die Entstehung des Romans - ebenfalls - online mitverfolgen. Erwartungsgemäß handelt es sich um eine Fangemeinde. Entsprechend enthusiastisch sind die Reaktionen: "ungeheuer schön", "genial", "habe ich so noch nie gelesen", "das muss einem ja erstmal einfallen", "you made my day". Muss das "Team Hanser" die ganze Arbeit der psychologischen Autorenbetreuung (anfeuern, loben, begeistern und trösten: "Klingt für mich nach kleiner Schreibkrise. Wollen Sie darüber reden?") nicht allein machen.
Doch nicht nur in diesem Punkt bringen die KommentatorInnen Hilfe. Sie übernehmen auch ein bisschen klassische Lektoratsarbeit. Da wird auf Unstimmigkeiten in der Continuity hingewiesen, werden Plotfragen erörtert, Anregungen zum weiteren Handlungsverlauf entwickelt ("Vielleicht kann ja noch ein Zug eine Rolle spielen." "Oder ein Postbus. Vllt treffen sich die Eltern von ICH in einer kleinen hessischen Ortschaft.Oder in Paris auf der Champs Élysée?"), Figurennamen diskutiert ("Vorschlag für männlichen Vornamen für weitere Figur „Stephan“ mit „ph“! So heißt nämlich mein Mann, Jahrgang ’64.", "mein Mann heißt Rüdiger."), Überlegungen für eine Romanverfilmung angestellt ("Mit Daniel Brühl als Papa?", "Regie Leander Haußmann Filmmusik Element of Crime vllt?"), Sachfragen geklärt ("Gips wird beim Aushärten heiß", "aber es gab auch in den 70ern keine Tabletten gegen Tollwut", "Und was den Main anbelangt: An der richtigen Stelle abgeworfen ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht schlecht, dass der Betonsockel gerade reicht, dass der Einbetonierte noch an die Wasseroberfläche kommt."), Buchgestaltungstipps gegeben ("Egal was in dem Koffer ist, es sollte auf jeden Fall eine Riesenkatze aufs Cover.", "Auf das Cover sollte eher ein beschissenes Reh.") und Rechtschreibfehler aufgespürt ("ein Ravioli – 100 Ravioli – Ravioli bleibt Ravioli!").
Auch der Autor wird verschwenderisch mit Ideen versorgt und weiß das zu schätzen ("die Samenspende, zum Beispiel, großartig!") Das Team Abo entpuppt sich als offener Kurs für "creative writing". Alle dürfen mitmachen, alle werden zu Co-AutorInnen ("irgendwie bin ich in die ganze Geschichte selbst schon so verstrickt, dass ich mich für alles (mit-)verantwortlich fühle.") Mitmachen als mitschreiben.
Das ist sogar juristisch abgesichert: Will man einen Kommentar abschicken, muss zuvor folgende Erklärung angeklickt werden: "Ich stimme einer möglichen Veröffentlichung meines Kommentars im Rahmen des Buches Morgen mehr zu." Das ist Fairplay. Weniger fair ist, dass man keine Wahl hat. Es gibt keine Alternative, wie etwa "Ich will nur einen Kommentar abgeben." Wer keine Lust auf potentielle Veröffentlichung hat, kann nicht kommentieren. Den Ideen- und Schreibpool "Morgen mehr" stört´nicht. "Echte Fründe ston zesamme".
(Vielleicht in einem Folgebeitrag von "Du, Tilman" über die "Fake"-Frage nachdenken? Mal sehen)