Der Kapitalismus ist bekanntermaßen ein großer Umwälzer. Nichts darf bleiben, wie es ist. Wieder und wieder muss eine neue Sau durch´s Dorf getrieben werden: schöner, größer, bunter und mit noch mehr Funktionen. Stillstand ist Rückschritt. Dat wolle mer nit.
Ein ganz großes Ding im Kapitalismus ist das Ver- und Einkaufen. Genau genommen dreht sich alles nur darum. Ein- und Verkaufen kann man so oder so. In früheren Zeiten gab es Tante-Emma-Läden, die nicht nur lokales Handels- sondern auch Kommunikationszentrum waren. Es gab Luxusgeschäfte für Edles nach Maß, in denen König Kunde von einem Hofstaat der Zuvorkommenheit umtänzelt wurde. Es gab Discounter, in denen das Personal für´s Einräumen und Kassieren, nicht aber für irgendeine Form von Kundengespräch bezahlt wurde. Das alles und etwas mehr gibt es auch heute noch, jedoch kräftig durcheinandergeschüttelt – der große Umwälzer ist ständig am Werk.
In Luxusgeschäften trifft man auf VerkäuferInnen, die nun "Sales Representatives" heißen, was ihnen anscheinend so viel Raupen in den Kopf gesetzt hat, dass sie ihr Kerngeschäft ganz aus den Augen verlieren. Man meint, sich entschuldigen zu müssen, dass man sie mit einer Frage belästigt bzw. es versäumt hat, sich eine Woche vorher zum Beratungsgespräch anzumelden. In sogenannten Billigläden oder Supermärkten schwappt einem eine Welle der Aufmerksamkeit entgegen, die in sonderbarem Kontrast zu den Preisen der angebotenen Waren und den Löhnen der Beschäftigten steht. Die Aldi-Damen hier im Viertel sind von einer derart ausgesuchten Freundlichkeit, dass ich dauernd überlege, ob ich beim Bezahlen nicht großzügig aufrunden sollte. Das wäre allemal angebrachter als der gewohnheitsmäßige Tip („to insure promptness“) für „Servicekräfte“, die einem mürrisch und alles andere als prompt das Essen auf den Tisch knallen. Aber gewiss lassen die scharf programmierten Aldi-Kassen das nicht zu. Vielleicht sollte ich mal die Einführung eines „Schweinderls“ anregen ...
Anlass zur Verwunderung bieten nicht minder jene Verkaufsstellen, die das Flair eines großen, aber preisgünstigen Warenangebots mit dem Charme eines Tante-Emma-Ladens verbinden, wo einem Frischetheken, Heimeligkeit, Zuvorkommenheit plus Portemonnaie-Schonung geboten werden, wo man Lebensmittel liebt und die Kunden noch dazu. Fast jedenfalls: Beim Betreten dieser Verkaufsstellen schallt einem ungestüm ein Tagesgruß entgegen. Das ist gewiss schön, verkehrt bei permanenter Wiederholung jedoch den Gang durch´s Geschäft schnell zu einer Art positivem Spießrutenlauf. „Guten Tag!“, „Guten Tag!“ Schutzsuchend bückt man sich zu einem der abgelegendsten Regale, greift zu Dingen, die niemand braucht, nur um ein wenig zu verschnaufen. Prompt kommt ein Mitarbeiter des Weges und ruft hinterrücks: „Guten Morgen!“, „Guten Tag!“ oder „Guten Abend!“
Schnell weiter zur Frischetheke. „Guten Tag!“ „Guten Tag!“ „Was darf es sein?“ „Sechs Scheiben Hausmacher Kochschinken.“ „Gerne. - Wann machst du Pause?“ - „Jetzt gleich, wenn Beate zurück ist.“ - „Habt ihr die Frikadellen schon fertig?“ - „Ich frag mal nach.“ „Ich hätte noch gern ein Stück grobe Leberwurst.“ „Hm. - Kannst du die Mortadella aufschneiden, ich hab hier nur noch drei Scheiben?“ - „Okay. Warst du schon zur Pause?“ - „Nee, ich hatte noch nicht mal Frühstück.“ - „Dann geh du doch auch, wenn Beate zurück ist.“ - „Das mach ich auch, sonst komm ich hier heute überhaupt nicht mehr weg.“ - „Könnte ich noch etwas von der …?“ - „Einen Moment, ich übergebe Sie mal eben an meine Kollegin. Rita, machst du bei der Kundin hier weiter.“ „Klar. Guten Tag! Was darf es sein?“ „Also, ich hätte noch gerne, …. was wollte ich denn noch … ich komm nicht drauf ...“ - „Leberkäse ist im Angebot.“ - „Ach.“
Kommunikation wie im Tante-Emma-Laden, aber irgendwie ver-rückt. Die Kundin als ausgeschlossene Dritte. Soll das so? Alles nur ein Problem der Verschaltung? Einzelhandelskette oder die ratlose Frage, wer mit wem spricht. Überflüssig zu erwähnen, wie es an der Kasse weitergeht: „Guten Tag!“ - „Guten Tag!“ - „Hast du Elke heute schon gesehen?“ - „Nee.“ - „Die war beim Friseur.“ - „Und? Wie findse?“ - „Sieht flotter aus. Bezahlen Sie mit Karte?“ - „Ja.“ - „Blonde Strähnchen und Nacken ausrasiert. Sammeln Sie die Bingo-Karten?“ - „Ich, äh?“
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Frau von B-Lang (Dienstag, 06 Oktober 2015 13:50)
Wen nimmt es da Wunder, dass die Konkurrenz aus diesem Internet immer beliebter wird...