Kleinteilige Beschreibungen alltäglicher Vorgänge – „(Ich) stehe vom Sofa auf, gehe in den Flur, schlüpfe aus den Hausschuhen und hinein in die Straßenschuhe und öffne die Wohnungstür, greife im Hinausgehen noch nach meinem Mantel“ – verführen mich nicht zum Weiterlesen einer Geschichte. Da ich aber wissen wollte, was es mit Max Schmeling als Figur in dem jüngst erschienenen Roman „Zurück zum Feuer“ von Saskia Hennig von Lange auf sich hat, habe ich die Lektüre fortgesetzt. Gottseidank!
Auch für Max´ Ehefrau Inge nimmt dieses Wochenende im Spätherbst einen Verlauf Richtung Ausnahmezustand. Dabei spielt ebenfalls ein Haus eine Rolle sowie die Wohnung, in der Max und Inge wohnen – gemeinsam einsam. Inge macht einen klaren Schnitt – erst der Haarzopf, dann die Tapete. Sie (Inge) bricht auf, ohne genau zu verstehen, warum sie handelt, wie sie handelt, „aber genau deshalb weitermachen muss und nicht auf halbem Weg aufhören darf. Dass sie diesen Weg zu Ende gehen muss und dass das die einzige Möglichkeit ist, herauszufinden, wohin er sie führt, dieser Weg.“
Inges Vorgehen charakterisiert der Roman als „überbordendes Handeln. Ein Handeln, das nur sich selbst folgt.“ Für Max wäre das unvorstellbar. Bei ihm stehen Denken, Planen und Begründen an erster Stelle, für ihn muss alles erklär- und verstehbar sein: „ (…) was er nicht verstehen konnte, das gab es nicht, so einfach war das. So einfach war Max.“ Das Katastrophen-Domino in Schmelings Haus könnte ihn eines Besseren belehren. Doch Max baut im Chaos noch unermüdlich Begründungszusammenhänge auf, klammert sich (wahnhaft) an rationales Denken: Ein Einbruch, den er vornimmt, wird da schon mal zu einer Maßnahme, die dem Sozialwohl dient und also rechtmäßig ist.
Die beiden Erzählstränge mit Max und Inge im Zentrum hat Saskia Hennig von Lange mit einem dritten verwoben. Dessen Hauptfigur ist Max Schmeling. Geschildert werden die letzten Tage des 99jährigen Boxweltmeisters in seinem Haus nahe Hollenstedt. Abgesehen von einer diskret im Hintergrund wirkenden Krankenschwester, die ebenfalls im Haus wohnt, ist Schmeling allein, allein mit seinen Erinnerungen und Gedanken. Sie kreisen um die Erfahrung des Verlustes (Tod der Ehefrau vor vielen Jahren, das Schwinden der körperlichen Kraft) und des Alleinseins und die Frage, was dann noch trägt. Für Schmeling, der inzwischen zu schwach ist, um sich im Bett umzudrehen, ist Aufgeben auch jetzt keine Wahl: „er wird auch das hier sauber zu Ende bringen, er wird es aushalten. Er wird nicht das Handtuch werfen“.
Sich stellen, weitergehen, weitermachen, nicht aufgeben – das ist die in Saskia Hennig von Langes Roman „Zurück zum Feuer“ variantenreich durchgespielte Antwort auf die Frage, wie man leben kann, wenn das, was bislang die eigene Selbstvergewisserung garantiert hat, nicht mehr vorhanden ist.
Kunstvoll auf hohem Niveau gelingt die Verknüpfung der drei Erzählstränge. Die zahlreichen ähnlichen Motive werden geschickt plaziert und dadurch gegenseitig akzentuiert (Haus-Motiv, Tod des Kindes, Wald als Ort des Kampfes, etc.). Sie werden gespiegelt, kontrastiert (das Rationale gegen das Körperliche: Max-Max) oder gedoppelt (Max will ein Inventar anlegen, Schmeling will ein Inventar anlegen; Max sitzt in einem Mantel allein in Dunkeln, Inge sitzt in einem Mantel allein im Dunkeln, etc.). Trotz der vielen Querverbindungen in den Themen und Motiven, erstarrt das Ganze nicht in einem Schematismus der Spiegelungen und Parallelführungen. Es wird elegant erzählt – die kleinteiligen Beschreibungen vor allem im Max-Erzählstrang sieht man dann gerne nach. Und was Saskia Hennig von Lange in ihrem Versuch, den Prozess des Sterbens zu imaginieren und zu beschreiben, literarisch vollbringt, ist atemberaubend.
(Saskia Hennig von Lange: Zurück zum Feuer. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2014)
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Britta (Sonntag, 25 Januar 2015 19:55)
Vielen Dank für diese ausführliche Rezi.
Werde ich auf jeden Fall auch lesen.