Es war schon dunkel, als ich vom Bahnhof zum verwaisten Elternhaus ging. Da war ein Laden, aus dem das Licht noch auf den Gehsteig schien. Ich hatte Zeit, mir war nach Wagnis, drum trat ich ein. Da saßen Männer mit braunen Augen und mit schwarzem Haar. Und aus der Jukebox erklang Musik, die fremd und südlich war. Als man mich sah, grüßte einer und lotste mich in den Nebenraum.
Dort erfuhr ich, ich könne bleiben, drei seien noch vor mir, ich müsse hier warten, wenn ich wieder ginge, könnte ich heute nicht mehr drankommen. Ich ging zur Wartebank, die drei Vorgängerinnen rückten sofort zusammen und lachten mich herzlich an.
Es ist immer das Gleiche. Monatelang schiebe ich den Termin vor mir her. Lege selbst Hand an, so gut ich kann. Weiß nicht, wem ich mich vorbehaltlos anvertrauen könnte in dieser Angelegenheit. Denn selten ist sie richtig gut ausgegangen. Und irgendwann dann handle ich überstürzt: Jetzt oder nie, wenn nicht jetzt, dann erst wieder am St. Nimmerleinstag. Im Grunde will ich ja gar nichts Verrücktes, ist das Wagnis gar nicht so groß. Doch auch bei einer durchgestuften Langhaarfrisur kann Einiges falsch gemacht werden.
Ich sah mich in Ruhe um und sah, dass die Ausstattung sehr viel einfacher war als in den Häusern, wo man sonst Hand an mein Haar anlegte. Auch die beiden Handwerker, ein Mann und eine Frau, wirkten angenehm unprätentiös, weit entfernt von irgendwelchen Frauenzeitschriftenidealtypen und offenbar auch nicht der Überzeugung, dass es eine Gnade sei, als wenig aufgebrezelte und seltene Kundin überhaupt von ihnen behandelt zu werden. Sie arbeiteten hochkonzentriert und zügig was weg. Im Hintergrund dudelte unentwegt etwas, das ich als Türkischrock bezeichnen würde. „Yülli-yülli-yülli“.
Außer mir waren in dem Raum noch zwei Deutschstämmige. Eine von ihnen wurde gerade verwegen geföhnt, während ich kurz überlegte, ob ich vielleicht nicht doch besser noch schnell die Flucht ergreifen sollte. Jetzt war noch Zeit. Dann dachte ich mir, die Türkinnen, die ich kenne, sind alle ziemlich ausgebufft in Sachen Haartracht und Körperpflege. Wenn die beiden Handwerker hier ihr Handwerk verstanden, dürfte mir eigentlich nichts Böses widerfahren. „Yülli-yülli-yülli“. Die frisch Geföhnte ging zur Kasse und sah am Hinterkopf aus wie ein balzender Pfau. Das hatte was. Sollte ich mir vielleicht auch mal was ganz Anderes machen lassen? So einen 20er-Jahre-Bob? Mh. Oder Strähnchen? „Yülli-yülli-yülli“.
Eine Vorgängerin war nur zum Augenbrauenzupfen gekommen und also schnell fertig. Schon wurde ich zu einem Behandlungsstuhl gerufen und dem männlichen Handwerker zugeteilt. Der war gerade noch mit einer Kundin beschäftigt, der er die Haare ganz gerade abgeschnitten, ausgedünnt und platt geföhnt hatte. Au weia. So wollte ich es auf keinen Fall haben. „Yülli-yülli-yülli“. Der türkische Coiffeur näherte sich und mit ihm eine junge Auszubildende, die sich als Dolmetscherin entpuppte. Ich trug meine Wünsche vor, die junge Frau übersetzte und der Coiffeur nickte und nickte. Au weia. Wenn das bloß nicht in die Hose ging. Ich sollte zeigen, wieviel abgeschnitten werden sollte. Ich zeigte und der Coiffeur nickte. „Alles verstehn. Waschen?“ „Nein, nicht waschen, nur schneiden.“ „Ah gut.“ Dann ging es los. Die Auszubildende ging weg. Ich verkrampfte.
Der Coiffeur feuchtete das Haar an und griff zur Schere. Beherzt fasste er ins Haar und schnitt, als gäbe es kein Morgen mehr. So wenig wie jetzt und hier hatte ich noch nie mit einer Friseurin gesprochen. Obwohl mir das eigentlich gefiel, meinte ich doch, Plaudern gehört mit zum Geschäft. Also sagte ich: „Ist das hier Türkischrock?“ Der Coiffeur war völlig irritiert. Versteht er also doch nichts, dachte ich. Wir schauten uns an. Dann schaute er in die Richtung, aus der die Musik kam, und sagte fragend: „Englischrock? Is nich Englischrock?“ Ich horchte und hörte: „Beat it“ von Michael Jackson. Au weia. Doch ich tat so, als hätten wir uns einfach missverstanden. Der freundliche Schnitter werkelte weiter, griff nun zum Messer, scherte und kappte, alles recht professionell. „Dünnen?“ „Nein, nicht ausdünnen.“ „Ah. Alles verstehn.“ Schwuppdiwupp waren wir fertig und die Haare perfekt durchgestuft. Ein Frauentrüppchen kam herein, wurde herzlich begrüßt und zum Teetrinken in den Nebenraum verabschiedet.
Ich ging zur Kasse. Die deutschsprachige Friseurin sagte: „Elf Euro.“ Ich unterdrückte mein Erstaunen, bezahlte und fragte, welches der aufgestellten „Schweinderl“ denn zu meinem Behandler gehörte. „Bora“ war sein Name, und so warf ich bei „Bora“ das Trinkgeld in den Schlitz.
Draußen vor der Tür reihte sich ein großes dunkles Auto an das nächste. Aus einigen drang dumpfes Bass-Gewumme, aus anderen „Yülli-yülli-yülli“. Hinter dem
Schaufenster des größeren Frisörsalonraumes saßen noch immer viele Kunden. Männer, die frisiert und rasiert wurden. So richtig mit dem Messer. Old style. Sie unterhielten sich lebhaft und ich
dachte, ob die hier gerade einen Deal machen. Egal. Ich hatte ja auch einen Deal gemacht. Hier im Salon „Goldschnitt“.
Kommentar schreiben
holz (Samstag, 02 November 2013 19:38)
smiley