Warum die „Deutschland-und-die-Welt“-Seite der FAZ „Deutschland und die Welt“ heißt, würde ich mir gerne mal von jemandem aus dem zuständigen Ressort erklären lassen. Gehört denn Deutschland nicht zur Welt? Und ist es nicht ein bisschen viel, was da an Erwartungen geschürt wird? Und ist es nicht ein bisschen wenig, dass einem so großen Thema mit so vielen geschürten Erwartungen nur eine einzige Seite eingeräumt wird – während das Ressort „Politik“ über ganze fünf (!) Seiten verfügt (müsste es nicht gerade umgekehrt sein?)
Vermutlich schlägt das „Traditions“-Argument: War immer so, bleibt immer so. Dennoch. Wäre nicht vielleicht „Vermischtes“ oder „Gesellschaft“ passender? Ich glaube ja. (Gerne werde ich über weitere Bezeichnungen nachdenken, falls Bedarf bestehen sollte.)
Betrachten wir einmal die Ausgabe von heute: Zehn kurze Meldungen rahmen einen längeren und einen kürzeren Bericht. Orte des Geschehens sind (im Uhrzeigersinn): Kempten, Giessen, Kairo, Innsbruck, Madrid, Prag, Paris, Frankfurt, Magdeburg, Koblenz, Rangun, Washington. Das heißt: 7:5 für die Welt! Deutschland gleicht insofern aus, als die beiden Berichte sich zum einen auf Kempten, zum anderen auf Frankfurt beziehen.
In dem längeren Bericht geht es darum, dass Bio-Bauern durch sonderbare EU-Verordnungen zurück in die konventionelle Landwirtschaft gedrängt werden. Unter der Überschrift „Evita könnte es an die Hörner gehen“, erfahren wir von der mobbenden Kuh Evita, die wegen ihres Hörnereinsatzes gegenüber ihren Kolleginnen an die Kette gelegt werden muss. Nun hat die EU bestimmt, dass ab kommendem Jahr Bio-Viecher nur noch in Ställen gehalten werden dürfen, in denen sie frei laufen können. Für Bauer Rietzler heißt es nun abwägen: Will er in teure Umbaumaßnahmen investieren, will er zurück zur konventionellen Tierhaltung oder will er seiner Evita die Hörner abbrennen? (Don´t cry for me Argentina.)
In dem kürzeren Bericht geht es um einen ICE, der auf der Strecke Frankfurt–Köln fast vier Stunden in einem Tunnel feststeckte. Nicht schon wieder Bahn, denkt man und will den Artikel gar nicht lesen, wäre da nicht diese Überschrift: „Erst episch, dann langweilig.“ Höh? Dann liest man ein Zitat nach dem anderen von ein und derselben Bahnreisenden, von der man alsbald den Eindruck gewinnt, sie sei die routinierte Pressesprecherin der gestrandeten Bahnkundschaft. Der Artikel ist quasi nur so ein bisschen drumherumgebaut. Was hat es denn nun mit dem „episch“ auf sich? Unsere Frage und Antwort stehende Informantin vor Ort meint damit die Situation, wenn Teile der gerissenen Oberleitung herunterfallen und man sitzt „direkt darunter“. (Sollte man den Artikel vielleicht mal ans Feuilleton weiterreichen?)
Auf die Kurznachrichten am Rande will ich nicht im einzelnen eingehen, erlaube mir nur folgende drei Hinweise:
Erstens findet sich eine Meldung über drei tote Kinder, die von ihrer Mutter ermordet worden sein könnten. Nach jahrelangem täglichem Konsum der FAZ erlaube ich mir die Behauptung, dass auf jeder „Deutschland-und-die-Welt“-Seite eine Horrornachricht in bezug auf Kinder gebracht wird: verbrannt, von einem Trecker überrollt, erdrosselt, jahrelang eingesperrt, missbraucht, verprügelt, verhungert … Ich weiß, dass solch Grauenvolles passiert und leider nicht zu den ganz seltenen Ausnahmefällen im Alltag gehört. Aber ich weiß nicht, welchen Sinn die alltägliche Mitteilung davon auf dieser Zeitungsseite hat und welche Funktion sie erfüllt.
Welche Funktion die darunter stehende Nachricht – „Innsbrucker Lokal verbietet Küssen“ – erfüllt, ist mir, zweitens, dagegen klarer: Sie deckt den Bereich „Kuriosa“ ab. Der gehört zu dieser Zeitungsseite und versammelt alles Plemplemhafte: von verrückten Erfindungen oder Hobbies bis hin zu verrückten Rekorden oder eben solchen Regelungen, wie der des Tiroler Wirtes: „Aus Respekt vor unseren Mitarbeitern und internationalen Gästen bitten wir Sie, Zärtlichkeiten in unserem Lokal zu unterlassen.“ (Die Wirtschaftskammer hält es übrigens für rechtens, dass der Wirt Gäste, die sich dennoch herzen, hinauswirft.)
Drittens kann ich keinesfalls folgende kurze Meldung aus dem spanischen Königshaus unerwähnt lassen: Entgegen der FAZ-Nachricht vom Vortag hat Juan Carlos vor zwanzig Jahren nicht 375 Millionen Euro, sondern 375 Millionen Peseten (und zwar „alte“) von seinem Vater geerbt. Neuesten Berechnungen zufolge soll sein Erbteil nun 2,2 Millionen Euro betragen. Diese „waren angeblich auf Schweizer Banken deponiert.“ Angeblich sollen sie ordnungsgemäß versteuert worden sein, was die linken Parteien aber nicht so recht glauben wollen. Mh.
Mich stört dieses Vage und Mutmaßende nicht die Bohne. Meiner Meinung nach kann man gar nicht anders über die Schönen, Reichen und Aristokraten schreiben als mit viel Phantasie und viel Konjunktiv. Wenn man das nur ernst nähme und die Hofberichterstattung großzügig ausbaute, könnte die „Deutschland-und-die-Welt“-Seite eine amüsante „Kinderseite für Erwachsene“ werden.
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Frau von B-Lang (Montag, 08 April 2013 18:09)
Das mit der täglichen Horrormeldng über Kinder ist mir auch schon aufgefallen.
Mir suggeriert der Titel dieser Zeitungsseite ja immer, dass damit auf gleich Gewichtiges hingewiesen werden soll: Deutschland gleich wichtig wie der Rest der Welt.
Ungefähr so, wie wir immer sagen:
Wichtiget aussem Pott und umliegende Dörfers, wa !