"Brockmann lehrt, wie man" ... sich über Halloween ärgert

Früher war alles besser. Denn einmal nur im Jahr kam ein buntes Trüppchen vorbei, meist kleine lachende Menschen, die etwas ver­legen und etwas verwegen sangen: „Bin ein kleiner König, gib mir nicht zu wenig!“ Man füllte ihnen ein paar Süßigkeiten in die Ta­schen, schon liefen sie kichernd davon.

Dann aber kam der erste Golfkrieg und mit ihm das Verbot von Ro­senmontagszügen. Mit dem Verbot kam die Umsatznot der Karne­valszulieferer und mit der Not schließlich, wie so oft, die Erfin­dungsgabe: Da die Vereinigten Staaten von Amerika als Leitkultur gelten und man sich dort erst im kalten Oktober statt im kalten Fe­bruar kostümiert, importierte man kurzerhand das amerikanische Halloween-Fest und erfreute damit all jene, die Anfang des Jahres um ihren Fa­schingsspaß gebracht worden waren: die Süßwarenpro­duzenten, die Brauereien und Schnapsbrenner, die Visagisten und Stylisten, die Kostümhersteller und Taxifahrer und natürlich sämt­liche Karnevalisten. Ihre Freude war so groß, dass aus der Ersatz- eine Dauerlösung wurde. Fortan wird Halloween Jahr für Jahr land­auf, landab als zweite 5. Jahreszeit ge­feiert, als sei dies das Nor­malste der Welt.

 

Ich finde den Halloweentrubel nicht normal. Ich mag nicht skelett­kostümierte Menschen vor der Tür, die „Süßes, sonst gibt’s Saures!“ nölen und dabei gelangweilt und ein wenig bockig herum­stehen, als müssten sie für Gratiskultur posen. Erbarmens­wert ge­schminkte Untote-Darsteller mit Hackebeilchen und Plastik­fuß am Gürtel, die sich in meiner Lieblingsfrittenbude für nächtli­che Um­triebe stärken, verderben mir den Appetit. Was an Heidi Klum im Plastinaten-Catsuit aufregend oder spaßig sein soll, weiß ich nicht. Und dass es beim Bäcker tagelang nur noch Donuts mit Kürbis- oder Vampirsticker gibt, für die 30 Cent Aufschlag zu zahlen sind, ist ärgerlich.

 

Vor drei Jahren schellte ein jun­ger Mann am 30. Oktober abends an, sagte „Trick or Tre­at“ und las nebenher eine SMS. Ich antwor­tete: „Sie sind einen Tag zu früh. Halloween ist doch erst morgen.“ Mor­gen könne er nicht, da müsse er zur Horror-Party in den Movie Park nach Kirchhellen, darum sei er einfach heute schon vorbeige­kommen. Ich war so platt, dass ich lieber „Trick“ riskierte, als die­sen frühen Vogel mit Wurm zu belohnen. Glücklicherweise blieben Straf­maßnahmen aus.

Einen Tag später polterten drei Hexen und ein hulkartiger grüner Mann vor der Tür. Ich gab ihnen Süßes. Dafür gaben sie mir, Kle­bespray auf Gar­agentor, Haustür und Fußmatte. Entweder feierten sie nach an­deren Regeln oder ich wusste nicht, wel­che Tauschmit­tel angesagt waren. Die Fußmatte konnte ich weg­schmeißen. Tür und Tor waren gründlich mit klebrigen Fäden überzogen, so dass mir beim Abknibbeln genügend Zeit blieb, meine ursprüngliche Gleich­gültigkeit gegenüber dem ganzen Halloween-Hokuspokus in hundertprozentige Ablehnung zu verwandeln.

 

 

Verhaltensmöglichkeiten für unsereins, wenn das Oktobe­rende naht:

a.) Flucht

b.) Totstellreflex

c.) Enlightment inkl. Attacke

 

a.) Dass man sich von Kürbisköp­pen nicht vorschreiben lassen will, wann man in Urlaub fährt, kann ich gut nachvollziehen. Daher leh­ne ich Verhaltensmöglichkeit a. ab.

 

b.) Wegen des Debakels vor drei Jahren schien es mir im darauffol­genden Jahr das Beste zu sein, mich in Dunkelheit und Stille zu verbergen. Abends stellte ich die Schelle ab, ließ sämtliche Rollä­den herunter, sicherheitshalber aber trotztdem das Licht aus und verzichtete auf alles, was Geräusche macht. Die Offensive der Geister erfolgte in mehreren Wellen. Von mal zu mal wuchs meine Sorge, die vorgespielte Unbehaustheit könne erst recht herausfor­dern. Ich hörte Schreie, Gemurmel, das Peitschenknallen von Chinaböllern, ich hörte Lachen, schnelle Schritte, Klappern und Stille. Als ich am nächsten Morgen die Bunkertür öffnete, winkte meine Nachbarin und rief: „Du bist ja doch da!“ Ich lächelte verle­gen und schaute mich kurz um. Neben dem Badezimmerfenster war ein rohes Ei aufgeschlagen, dessen Reste an der Wand angefroren waren. Als ich den Briefkasten öffnete, um die Tageszeitung her­auszunehmen, kam mir ein Schwall Konfetti entgegen. Sonst war nichts geschehen.

 

c.) Selbst auferlegte Isolationshaft ist blöd. Feigheit ist auch blöd. Also entschied ich mich im nächsten Jahr für „Flucht nach vorn“, schaltete im Haus jede Lichtquelle an, postierte am Eingang drei kerzenbeleuchtete Kürbisgesichter und spielte die Rocky-Hor­ror-Picture-CD ab, ohne Unterbrechung und mit so viel Foffo, als gäbe es kein Morgen mehr. Trotzdem hörte ich das Klingeln. Ich rieß die Haustür auf und keifte hexengleich: „Was wollt ihr denn??“ Vor mir standen drei kleine Zauberlehrlinge mit wagenradgroßen Spitz­hüten und aufgerissenen Augen. „Wir wolln … also, wir ...“ „Ihr wollt! Soso, ihr wollt! Aber ich will nicht! Ich habe heute nämlich schon genug magere Kinder gefressen.“ Die Zauberlehrlinge ruck­ten die Köpfe nach hinten. „Zeigt mal her, wie dick sind denn eure Ärmchen?“ Zwei Zauberlehrlinge stießen sich ratlos an, der dritte grinste verschämt. „Also gut, weil ihr es seid“, sagte ich und ver­teilte Säckchen mit Süßigkeiten, „esst das alles schön auf, und wenn ihr dick und fett seid, kommt wieder, dann kann ich einen fei­nen Braten aus euch machen.“ Die Lehrlinge huschten von dannen. Am nächsten Morgen rief meine Nachbarin an und beschwerte sich über mein Verhalten. „Moment mal“, sagte ich, „erstens sind Max, Jenny und Emil keine Kleinkinder mehr und zweitens kennen sie mich.“ „Trotzdem“, sagte meine Nachbarin, „ich finde, Du warst ziemlich gemein.“

 

Und das mir! Wie soll ich mich bloß in diesem Jahr verhalten, wenn der Sturm losbricht?

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Holz (Donnerstag, 01 November 2012 18:42)

    Gut das wir in der Einöde wohnen