Herbstzeit ist des Jägers Zeit und auch die des brünftigen Hirschen. Nie habe ich verstanden, dass gerade zu dem Zeitpunkt, wenn der Hirsch in Paarungslaune gerät, die Jagd auf ihn beginnt. Aber egal. Ich bin keine Jägerin und kann also den tieferen Sinn nicht verstehen.
Mein Zugang zum Thema im weitesten Sinne rührt daher, dass ich mich immer schon für außergewöhnliche Freizeitbeschäftigungen interessiert habe. So bin ich irgendwann auch auf das Hobby des sogenannten „Hirschrufens“ gestoßen. Hierbei handelt es sich um eine Tierstimmenimitation, die aus der alten Tradition der Lockjagd stammt, bei der man durch Nachahmen arteigener Laute ein bestimmtes Jagdtier anlockt.
Das Hirschrufen kann man durchaus als eine Sportart bezeichnen. Denn es setzt jahrelanges, z.T. tägliches Training voraus, dessen Ergebnisse in Wettbewerben unter Beweis gestellt werden. Die Wettkampfbegeisterung der Hirschrufer ist so groß, dass jährlich diverse regionale Meisterschaften, eine Deutsche Meisterschaft und eine Europameisterschaft ausgetragen werden. Die „Deutsche Meisterschaft der Hirschrufer“ findet immer im Februar auf der Fachmesse „Jagd & Hund“ statt, veranstaltet von der Fachzeitschrift „Wild und Hund“. Das Feld der dort antretenden Konkurrenten ist mit normalerweise nicht mehr als 20 Teilnehmern recht überschaubar und, abgesehen von der Teilnahme einer Frau in diesem und erstmals im letzten Jahr, nach wie vor eine Männerdomäne.
„Rooooooooaaaah-rooooah-rooah-ro-ro-ro-ro.“ So in etwa klingt es, wenn ein Rothirsch röhrt. Ein gutturales Rufen, das klanglich zwischen dem Knurren eines Löwen und dem Muhen einer Kuh anzusiedeln ist. Das Röhren wird auch „orgeln“ genannt, sofern der erregte Hirsch laute und langgedehnte Brunftschreie ausstößt. Nicht selten haftet den Schreien ein klagender Unterton an. Gilt es, das Rudel zu verteidigen oder Nebenbuhler zu vertreiben, trenzt der Platzhirsch, d.h., er röhrt in kurzen, raschen, schnaubenden Tönen: „krchr krch-krchr krch-krch krchrrr.“ Brunftschreie im Rahmen des Orgelns und Trenzens stößt der stark erregte Platzhirsch stehend oder laufend aus. Anders beim Knören, dem leisen und kurzen Rufen eines eher wenig erregten Hirschen. Geknört wird für gewöhnlich im Sitzen.
Bei den Meisterschaften der Hirschrufer geht es darum, die verschiedenen Brunftschreie des Hirschen naturgetreu wiederzugeben. Hierzu bedient man sich verschiedener Hilfsmittel: vom einfachen Innenrohr einer Haushaltsrolle, über Ochsenhörner, bis hin zum sogenannten Faulhaber. Das ist ein dreiteiliger Lautverstärker, der aussieht wie ein teleskopartig verstellbares Kaleidoskop. Um den tiefen, heiseren Ton eines alten, abgekämpften Hirschen zu treffen, empfehlen sich eher große Muscheln bzw. Schneckenhäuser. Mit ihnen erzielt man bei entsprechender Technik ein schönes tiefes „bkchchchch-bkchchch-bkchchch bkch-bkch-bkch bkchchch“.
Wer es im Hirschrufen zur Meisterschaft bringen will, muss dreierlei tun: lauschen, nachahmen und üben. Das Lauschen und Nachahmen sollte unbedingt an Originalschau- d.h. Brunftplätzen durchgeführt werden, nicht am DVD- oder mp3-Player, für die es mittlerweile zahlreiche Tonträger mit Brunftgeschreiaufnahmen gibt. Nur wer dem „König des Waldes“ an Ort und Stelle zuhört, wird mit der Zeit ein Gespür für das Brunftgeschrei als einer eigenen Sprache entwickeln, die über zahlreiche Variationen bezüglich der Tonlage, Frequenz, Intensität und im Ausdruck des Stimmungsbildes verfügt. Wer in dieser Weise das Hirschrufen übt, wird im Hirschen selbst den besten Lehrmeister finden, der antwortet, sofern man naturgetreu nachahmt, und der umgehend die Flucht ergreift, sofern man nur eine läppische Imitation darbietet.
Wer all das beherzigt und geduldig übt, kann ein erfolgreicher Hirschrufer werden. Ihm wird es zur freudigen Herausforderung, in den Wettbewerb zu gehen und sich den Aufgaben zu stellen. Bei der diesjährigen „Deutschen Meisterschaft der Hirschrufer“ in Dortmund galt es für die gemeldeten Teilnehmer, folgende Aufgaben naturgetreu zu vertonen:
„1. Junger Hirsch am Rande des Brunftplatzes
2. Alter Hirsch, der etwas abseits mit nur wenig Kahlwild steht
3. Kampfruf eines im Zweikampf siegreichen Hirsches
4. Für den Fall eines Stechens: Stimmfühlungslaute von Rotwild- Kälbern“
Forstwirt Tasso Wolzenburg aus Bad Laaspe ging
als Sieger 2012 aus dem Wettkampf hervor und fährt nun zur "Hirschrufer Europameisterschaft" nach Litauen.
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