Alternativen
Die Erstuntersuchung führt eine kleine schwarzhaarige Ärztin durch, die verschmitzt aus blitzenden Äuglein lacht und einen russischen Akzent hat. Ich soll ihr alles über meine Schmerzen undsoweiter undsofort erzählen.
Während ich ordnungsgemäß rapportiere, notiert sie das Gehörte auf verschiedenen Anamneseblättern, beantwortet nebenbei zwei Telefonate, rollt mit dem Bürostuhl hinüber zum Computer und tippt Daten ein. Als ich sage: „Und außerdem bin ich in letzter Zeit ziemlich schusselig, lege Dinge am falschen Platz ab, finde sie dann nicht wieder, vergesse, was ich gerade gehört oder gelesen habe. Hoffentlich nichts Schlimmes.“ „Nein, nein“, wehrt sie ab, „daas kommt nurr daar-cher, weil Sie im-mär zwei, drei Saachen gleichzeitig maachen. Multitasking ist Chölle. Daar-für sind wir nicht geschaffen. Besser, Saachen im-mär hintereinandär maachen.“
Woher weiß sie, dass ich immer zwei, drei Sachen gleichzeitig mache? Dann erzählt sie mir etwas über mein Leistungsverhalten, einige meiner Prinzipien und darüber, dass ich zu viel „in Verrgangehait oder Zukunft läben“ würde. Woher weiß sie das?
„Sie sind Jungfrau. Alle Jungfrauen sind so. Ich kenne viele. Ich bin sälbst Jungrfau.“ Ach so. Mh. Astrologische Rheumatologie?
Wir plaudern angenehm weiter. Über Krankheiten, das Leben und Dies und Das. Mehrfach schaue ich auf die Uhr. Es wird mir langsam unheimlich, wie viel Zeit für mich hier aufgebracht wird. Durch meinen Haus-Rheumatologen bin ich ganz anders getaktet. Da geht alles zack-zack, und sollte ich noch Fragen haben, muss ich mich sputen, um sie zwischen dem „Bis-zum-nächsten-Mal“-Handschlag und dem schnellen Öffnen der Behandlungszimmertür noch abgearbeitet zu kriegen.
Nun gibt es noch lebenspraktische Hinweise zum Glücklichwerden: „Kännen Sie The Secret?“ „Nee“. „Müssen Sie anschauen.“ Wenn ich die Anmerkungen richtig verstanden habe, geht es darum, dass man seine Wünsche ins Universum schickt, ganz feste wünscht und dann kriegt man den Traummann, das Wunschkind, Gesundheit, was immer. Mh. „Und warum haben Sie dann noch nicht im Lotto gewonnen“, frage ich. „Wail ich nicht Lotto spiele.“ Mh. Aber beim Parkplatz funktioniere es immer. Sie bekomme jedes Mal den, den sie sich wünsche. Mh. Sollte ich mir den Film vielleicht doch mal angucken? Ich spiele regelmäßig Lotto. Und was, wenn der Film Gehirnwäsche betreibt? Und ich am Ende von Scientologen eingefangen werde? Huuuh.
Es folgt die körperliche Untersuchung. Kein Zweifel: Diese Rheumatologin versteht ihr Handwerk. Dass sie nebenher ein wenig Esoterik betreibt, finde ich gar nicht uncharmant. Vielleicht ist sie eine moderne Variante von Dr. Krokowski, dem an Psychoanalyse und Psychosomatik orientierten Assistenzarzt im „Zauberberg“. Ein wenig „Seelenzergliederung“ betreibt auch sie. Ob ich ihr mal meine Träume erzählen sollte?
Am Ende erfahre ich, welche Therapien meine Frau Dr. Krokowski für mich ausgesucht hat. Alles prima. Außer Kunsttherapie. „Ich möchte meinen Schmerz nicht zeichnen oder Mandalas ausmalen“, sage ich. Wir tauschen Pros und Contras aus. Am Ende werde ich vom Malen befreit. Stattdessen gibt es „Feldenkrais“. Gut, da kann ich mich drauf einlassen.
Bei der Verabschiedung bekomme ich ein Geschenk: Eine Art Plastikrosette, mit der ich leichter Drehverschlüsse von Flaschen öffnen kann. Ich freue mich über die nette Geste. Bin aber ein klein wenig betrübt: Mein erstes krankheitsbedingtes „Hilfsmittel“. Dachte immer, das brauche ich noch nicht, Sanitätshausbesuche könnte ich mir noch lange aufsparen.
Auf dem Zimmer probiere ich das Geschenk sofort aus: Klappt prima. Na also. Ist doch gar nicht so schlimm.
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Hofrat Dr. Behrens (Sonntag, 22 Juli 2012 16:20)
Unterschätzen Sie die entspannende Kraft der Malerei nicht, meine Liebe. Sie glauben ja nicht, wie viele MALEN (u.a. nach Zahlen). Ich selbst male in Öl...
D.B.
Doris B./Hans C. (Sonntag, 22 Juli 2012 17:08)
Lieber Herr Hofrat,
Gerade weil so viele malen, muss ich das nicht auch noch machen. Ihre Kollegin aus der Zukunft hat schon richtig entschieden. Die Feldenkrais-Methode dürfte Ihnen ja gar nicht bekannt sein (mir auch noch nicht, aber ich weiß: Das ist besser!)
Herzlich grüßt
Doris B/Hans C.
(Bitte nehmen Sie davon Abstand, meine Initialen zu verwenden, das stiftet Verwirrung.)