Bachmannpreis 2012 - 7 / Stuben aller Art (Federmair, Travnicek)

Japanische Zithermusik, ein japanischer Garten mit kleinen Pavillons (sieht der eine nicht wie ein Teehaus aus?), - was läge für das Videoporträt über den gebürtigen Österreicher Leopold Federmair, der seit zehn Jahren in Japan lebt und schreibt, näher, als ihn im lautlos-beschaulichen Inneren einer Teestube zu zeigen?

Aber nein, man geht mit ihm spazieren und entlockt ihm Sätze wie diese: „Ich ziele nicht auf die Ruhe, auf die große Beruhigung. Ich sehe immer noch die Aufgabe der Literatur darin, zu beunruhigen, Unruhe zu stiften.“

Ja, ich bin beunruhigt. Und zwar über meine Engstirnigkeit, mein geringes Vorstellungsvermögen und meinen Erwartungseigensinn, den ich frech an den Filmmacher herangetragen habe. Lass ihn doch machen, er wird schon wissen, was er tut, zumal er keine Mü­hen ge­scheut und Herrn Federmair sogar vor Ort in Hiroshima be­sucht und interviewt hat..

Während ich noch über meine persönlichen Defizite nachdenke, höre ich Herrn Federmair sagen, dass er seit seiner Internatszeit schreibe und nie ein anderes Interessenszentrum als die Literatur gehabt habe. Und dann sehe ich ihn schreibend vor einer schönen massiven Regalwand voller Bücher. Und was steht vor der Regal­wand und wird auch noch herangezoomt? Zwei Kalebassen mit Bambilla! Hah! Schreibstube meets Teestube! Das Matetee-Ensem­ble hat Herr Federmair gewiss aus Argentinien mitgebracht, wo er drei Jahre gelebt hat. Seine Heimat bzw. sein Zuhause seien eine ungewöhnliche Mischung aus völlig unterschiedlichen und gegen­sätzlichen Dingen, sagt Herr Federmair: „Grundfeste wird immer Österreich sein.“ Das sagt er überzeugend, obwohl er auch sagt, dass die sechs Jahre, die er nach einem Auslandsaufenthalt in Wien gelebt habe, eine seiner unangenehmsten Erfahrungen gewesen sei. (Gerne wüsste ich mehr darüber, doch niemand verrät es mir.).

Vom Leben in einem Zuhause, das aus einer Mischung der drei so unterschiedlichen Lebenswelten, Österreich, Argentinien, Japan, besteht, erzählt Federmairs Roman „Erinnerung an das, was wir nicht waren“. Ein Roman, der mit Wirklichkeit(en) gesättigt ist und dennoch dem Möglichkeitssinn breiten Raum lässt. Der Titel gefällt mir ziemlich gut.

 

Krems an der Donau, 26. April 2012, Fußgängerzone. Es ist ein besonderer Tag für Cornelia Travnicek. Heute eröffnet die Jungun­ternehmerin ihre Tea-licious-Filiale. In wenigen Stunden wird hier trendiger bubble-tea serviert.“ Höh? Bin ich in eine Zeitmaschine geraten oder ist das etwa gar nicht die Stimme von Peter Nidetzky aus dem Aufnahmestudio Wien?

Ach so, er hat ja „2012“ gesagt. Dennoch bleibt ein Rest Beunruhi­gung, so wie damals, als wir vorm Zubettgehen noch den Freitags­krimi sehen durften, wenn „Aktenzeichen XY … ungelöst“ kam, erst enttäuscht, dann jedoch umso angespannter schauten und bei Apfel­saft und Salzstangen Tipps abgaben, ob nun ein Kassen­raub, eine Fahrerflucht, ein Einbruch, eine Entführung oder noch Schlim­meres passieren würde.

Gottlob ist das Schlimmste, was der Jungunternehmerin hier nun passiert, dass sie in der folgenden Szene „Kugelblitz“ genannt wird. Ansonsten geht alles soweit in Ordnung: Frau Travnicek macht einfach ihr Ding, erledigt die ca. 2798 Sachen, die man un­mittelbar vor der Geschäftseröffnung halt noch erledigen muss, und lässt sich dabei durch das Kamerateam nicht weiter stören. Wir erleben, was es für eine junge Autorin heißen kann, sich ein unab­hängiges ökonomisches Standbein zu schaffen.

Frau Travnicek läuft mit einem Staubsauger über die Straße, geht einkaufen, mixt sprudelnden Tee und verzichtet dankenswerterwei­se darauf, sich beim Rolltreppenfahren oder Bäume-Streicheln fil­men zu lassen. Die Peter-Nidetzky-Stimme informiert aus dem Off, dass Frau Travnicek schon sehr früh mit dem Schreiben angefangen habe und jetzt nur neun Jahre später der Plan der damals Sechzehn­jährigen aufgeht, nämlich ihr Schreiben bei den Klagenfurter Tagen der deutschsprachigen Literatur einmal vorzustellen. Des weiteren erfahren wir, dass Frau Travniceks Texte Selbstzweck seien, keine „message“ verbreiten sollen und ein schon recht umfangreiches Konvolut bil­den. Wir sehen ihre Bücher wie einzelne Bilder an der Wand ihres Cafés hängen. Dieses Café ist jedoch gar kein Café! Es ist eine bunte Teestube, in der es blubbert.

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