Die Videoporträts der KandidatInnen sind online. Und was fällt auf? Ein Großteil von ihnen hat beruflich mit Übersetzungen oder mit dem Theater (schreibend, inszenierend, unterrichtend) zu tun.
Es fällt aber noch etwas auf: Alle haben in irgendeiner Form mit einer Stube zu tun.
Zu Besuch bei der in Berlin lebenden Sabine Hassinger zeigt die Kamera in Nahaufnahme zerknittertes Papier an einer Leine, Kistchen und Scherben, Zeichnungen, Geformtes aus Holz und Stein, Nähseide, Wäscheklammern, Stifte, ein Glas, eine Schere, einen Schablonenschrank usw. – es mutet an wie in einer Bastelstube. Die Dinge sind in warmes Adventslicht getaucht, schon bekomme ich Lust auf grün-goldenes Glanzpapier, aus dem ich einen Fröbelstern basteln könnte.
Während Frau Hassingers Inventar gezeigt wird, steht diese abseits neben einer Tür und trägt einen poetisch-biographischen Text vor, in dem es um „permanente Inventur“ und „spontane Bestandsermittlung“ geht. Wir erfahren, dass der erste Text der Autorin „Proportionen des Inventars“ hieß und von Ernst Jandl gegengelesen wurde. Jandl ist aber nicht der einzige Bezug der Autorin zu Wien bzw. Österreich:
Erstens hat sie zehn Jahre in Wien gelebt und dort Musiktherapie studiert. Zweitens erinnern mich ihr Schreibstil – monologisch, assoziativ, sprachexperimentell, – und teilweise auch die Themenwahl an Arbeiten von Elfriede Jelinek. Drittens ist sie von Daniela Strigl zum Wettbewerb vorgeschlagen worden.
Beim Blick in ihre Bücher („Jul“, „Putzbuch“ sic!) fällt mir als eine mögliche Bezeichnung für Frau Hassinger der Ausdruck „Textweberin“ ein. Der Ausdruck ist mir nicht eingefallen, um so noch einmal eine Verbindung zu meiner Bastelstube-Assoziation herstellen zu können, sondern weil er zutreffend ist. Er ist schön und gut und wahr. A thousand miles away from „freie (?) Autorin“.
Ich ende mit dem Anfang von Hassingers poetisch-biographischem Text: „Was ich lebe und was ich schreibe, stimmen überein.“ Denn dieser Satz hat sich ohrwurmartig in meine Gedanken gebohrt. Ich frage mich, wie hält man das aus?
Lisa Kränzler tippt mit Schreibmaschine auf ein weißes Blatt: „ich bin ein maler, der schreibt“. Kurz vorher ist sie lauten Schrittes in einen Raum (ich nenne ihn mal Atelier) marschiert und hat auf eine rotleuchtende „Ein“-Taste gedrückt. Dann sehen wir im Zeitraffer viele sehr bunte Bilder und wissen allerspätestens jetzt, wo wir uns hier befinden, nämlich in einer Mal(er)stube. Wie zur endgültigen Bestätigung werden wir auch noch mit blut- bis bordeuxroter Farbe zugeschmiert, doch Gottseidank ist da noch eine Glasscheibe vor.
Die Schreibmaschine schreibt immer weiter. Wir erfahren, dass Frau Kränzler das Videoporträt lieber in Malibu hätte drehen lassen wollen. Ihr Vorschlag sei aber abgelehnt worden. Sie bedauert, dass nun anstelle eines hochgeschnittenen Badeanzuges und Wind in ihrem Haar, das Übliche gezeigt werde: „schreibmaschine, farbdreck und ausgebeulte Malerhosen“. Zum Abschluss sehen wir schnell noch mal ganz viele bunte Bilder.
Unmittelbar nach dem Malibu-Hinweis werden für den Bruchteil einer Sekunde zwei Zausel eingeblendet. Ich glaube nicht, dass Frau Kränzler damit unterstellen will, diese beiden hätten sich bestimmt gerne die Malibu-Aufnahmen angeschaut. Genau genommen sind es auch nicht die beiden Zausel selbst, die gezeigt werden, sondern vielmehr ein Buch von ihnen: „Meine Preise“ von Thomas Bernhard und „Die Notizen oder Von der unvoreiligen Versöhnung“ von Ludwig Hohl. Ich glaube, dass Frau Kränzler hier dem Bachmannpreis ihre Referenz erweist: „Meine Preise“ ist ja klar. Klar ist auch, dass alles immer nur „Notizen“ sind und „Versöhnung“ nothing else than a Glückskeks-Botschaft an die Klagenfurter KritikerInnen-Runde ist. Des weiteren sind mit Bernhard (A), Hohl (CH) und Kränzler (D) alle drei TDDL-Nationalitäten vertreten. Und zu guter Letzt findet sich noch eine geheime (Glücks-)Botschaft versteckt, die nur von einer hermeneutischen Mystikerin ertrüffelschnüffelt werden kann: Was ergibt sich als arithmetisches Mittel aus den Lebensjahren der drei Autoren: Genau! Mein Alter, das ich hätte, würde ich 2013 zum Klagenfurter Wettbewerb eingeladen werden.
Bei Frau Kränzler möchte ich mich dafür bedanken, dass sie mich auf Ludwig Hohl hingewiesen hat. Ich kannte ihn bis dato nicht. (Darf man das zugeben? Ja, das darf man.) In seinen „Notizen“ heißt es: "Um Leser zu fangen, muss man Romane schreiben. Um sie zu verlieren, muss man gut schreiben." Muss man immer glauben, was in einem Suhrkamp-Buch steht? Wer wie Frau Kränzler in ihrem Debütroman „Export A“ z.B. eine kanadische 16jährige grandios beschreibt, einzig indem sie eine Kauf- und Essempfehlung für Smarties und Skittes entwirft, der schreibt gut, so gut, dass man diesem schreibenden Maler viele Leser wünscht.
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