Kaffeekränzchen à deux. In Ruhe Geschenke und Glückwunschkarten betrachten. Fröhliche Zufriedenheit mit einem Hauch kaum anzumerkender Enttäuschung. Der türkische Teekuchen erhält 10 Punkte. Fröhliche Zufriedenheit auch auf Seiten der Kuchenbäckerin. Kurz überlege ich, ob ich zur morgendlichen Pullover-Affäre noch etwas Zurechtrückendes anmerken sollte. Nein, besser nicht, denke ich und bin froh, dass der Lebensmensch jemand ist, der Übles nicht nachträgt. Im Gegensatz zu mir. Der Telefonreigen beginnt, der Hund und ich ziehen uns diskret zurück. Er macht die große Gartentour, bei der möglichst jeder Strauch markiert werden muss, und ich packe meine Schwimmsachen zusammen.
Schade, sagt die Physiotherapeutin, dass ich den Zapfenstreich heute nicht gucken kann, das hätte ich gerne gesehen, wenn die alle mit ihren Vuvuzelas auflaufen, wennse überhaupt damit auflaufen. Ja, sagt Gerda, oft redense bloß und ist nix dahinter. Ich glaube schon, dass sich da einige mit den Tröten einfinden werden in Berlin, erwidere ich. Ja Berlin, sagt Gerda, ist ja in Berlin. Wir werfen Bälle in die Luft, müssen einen Schritt vorwärts gehen und dann die Bälle wieder auffangen. Das Auffangen gelingt nicht bei jedem Versuch, aber wir machen ja auch nicht Wasserballett. Die Stimmung steigt mit jedem Patzer. Manfred ruft in das Gekichere, er habe auf der Hinfahrt im Radio gehört, dass man mit einer Vuvuzela sogar die "Ode an die Freude" spielen könne, die der Wulff sich gewünscht habe. Ode an die Freude, würde ich an dem seiner Stelle auch anstimmen, ruft die Physiotherapeutin zurück. Da sachste was, sagt Rita, aber ich möchte jetzt nicht in Berlin sein, bei dem Krach von den Vuvuzelas fallen einem die Ohren ab, da kann einem der Wulff schon fast wieder leidtun. Leidtun, der brauch dir doch nicht leidtun, der mit seinem ganzen Geld und seinen guten Freunden, ruft Werner, echte Frü-nde stonn zesam-me. Hilde singt sofort mit und sagt dann: Der Wulff ist doch mit diesem Toupet von der Ferres befreundet, Milliardär ist der und zieht die Strippen in Hannover. Wenn du den zum Freund hast … Wenn du den zum Freund hast, spöttelt Manfred, dann brauchst du keine Feinde mehr. Wir lachen und beugen uns federnd nach rechts und nach links. Ich versteh die Ferres nicht, sagt Rita. Die versteht keiner, sagt die Physiotherapeutin, und jetzt sucht euch alle einen Platz am Beckenrand, die Bälle könnt ihr im Wasser lassen.
Ein Freund, ein gu-ter Freund, das ist das Schönste, was es gibt auf der Welt, singt Gerda, als wir, vor der Kachelwand die Beine kreisen lassen. Einige singen mit, einige summen mit. Ihr seid aber heute gut drauf, sagt die Physiotherapeutin. Was bleibt uns anderes übrig, als Spässkes zu machen, sagt Gerda, sonst würden wir verzweifeln bei dem Wahnsinn von denen da oben.
Manfred erzählt mir, im Lokalradio hätten sie heute über eine alternative Hitliste für den Großen Zapfenstreich abgestimmt, Money for nothing, sei auf den zweiten Platz gekommen. Und wer war auf dem ersten? Die Erste Allgemeine Verunsicherung mit: In der Provinz bin ich der Märchenprinz. Ich lache und Hilde johlt von links zu Manfred: Das Lied kenn ich auch, da ist zwischendrin doch so ein Da-da-dada-dada-da, da-da-dada-dada-da, nh? Plötzlich fangen alle an: Da-da-dada-dada-da, da-da-dada-dada-da, Da-da-dada-dada-da, da-da-da-da! Es wird in die Hände geklatscht und mit den Hüften gewackelt. Ist das nicht der Ententanz?, fragt die Physiotherapeutin. Passt doch gut zu uns lahmen Enten, johlt Gerda und bespritzt sie mit Wasser: Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh! Langsam gerät das ganze aus dem Ruder, aber so lustig war die Wassergymnastik noch nie. Rita legt sich auf den Rücken, paddelt mit Händen und Füßen und singt: Ich will keine Schokolade, ich will lieber Ehrensold, ich will keinen Präsidenten, sondern Kisten voll mit Gold! Wir bespritzen uns mit Wasser, werfen die Bälle hoch in die Luft und Werner macht einen Purzelbaum. Die Physiotherapeutin sagt: Okay, Schluss für heute, ich wünsch euch einen schönen Abend! Wir watscheln die Treppe hoch, Gerda stimmt an: Auf Wiederseh´n, auf Wiederseh´n, … und ich frage mich, ob heute eine Substanz im Wasser war, die da nicht hingehört.
Der Geburtstager gibt einen Barolo aus und hat Sandwiches vorbereitet. Beim Perfekten Dinner gibt es Rehrücken im Haselnussbiskuit und Pecannussparfait mit Safranorangen. Dein Festmahl holen wir am Wochenende nach, sage ich zum Geburtstager. Schon in Ordnung, sagt der, wie findest du eigentlich meine Sandwiches? Oberspitzenmäßig, sage ich und greife sofort noch einmal zu. In dieser Woche nimmt ein Sterne-Koch undercover am Perfekten Dinner teil. Wir Zuschauer sind eingeweiht und wissen, mit wem wir es zu tun haben. Heute Abend ist der Profi am Werk. Mir wäre es lieber, ich müsste genauso wie die Mitköche raten, wer der Profi ist. Ich bin befangen, achte immer besonders auf die Blicke und Kommentare des Sterne-Kochs. Von Tag zu Tag erscheint er mir mehr und mehr selbstgefällig. Würde ich bei jedem anderen der fünf Kandidaten genauso reagieren, wenn mir der Fernsehkommentator erzählt hätte, er oder sie sei der Profi? Wie groß ist der Eigenanteil, wenn vom persönlichen Eindruck die Rede ist? Was ist überhaupt dieser Eigenanteil? Irgendein Kommentator sitzt einem doch immer im Ohr. Wäre es denkbar, dass mir Herr Wulff auch sympathisch sein könnte? Uuuuh!? Nein, ich fand ihn schon vor der Affäre eitel, verschlagen, falsch, als er noch nicht Bundespräsident-Darsteller, sondern erst nur Kandidat war.
Im Fernsehen wechseln gerade die Kandidaten von der Kochshow zu denen von Germany´s next Topmodel. Der Barolo stimmt so heiter, dass wir beschließen, uns die Topmodels anzugucken. Gottseidank ist Heidi heute nicht dabei. Die muss in LA bei den Globes über den Teppich laufen. Der einzige, der uns hier interessiert, ist Thomas Rath. Er trägt phantastische Anzüge, Kappen und Socken, kann wunderbar entsetzt auf etwas schauen und wenn er kommentiert, ist das zum Niederknien: Tass tarf einfach nicht passieren, wenn euch tass bei einem Kunden passiert, tann türft ihr so-fort nach Hause fahren! Thomas Rath ist herzallerliebst. Wir schätzen seine Professionalität. In seinen Augen ist kein Falsch und ein großes Herz hat er auch noch. Heute dürfen wir uns eine Modenschau ansehen, bei der seine neue Kollektion präsentiert wird: Im Grundstyle very british, an der Oberfläche jedoch geht es kunterbunt durcheinander mit Pünktchen, Karos, Streifen, Farben und verschiedenen Stoffen. Alles fügt sich auf geheimnisvolle Weise zu einem stimmigen Gesamtbild. Wir heben die Gläser und prosten ihm zu: Toll Thomas, tu tisainst superschöne Teile!
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