Ruhestand. Dokumentationsroman einer moralischen Entrüstung - 6

3. März 2012

Heute will ich mich einmal nicht mit der Causa Wulff beschäfti­gen. Es ist Samstag und der Frühling prescht vor. Nun bloß keine finsteren Gedan­ken!

Vermutlich haben sich die Redak­teure meiner Frühstückszeitung und auch die der Harald-Schmid­t-Show (deren Donnerstagsausgabe ich mir gestern abend schnell noch im Internet angeschaut habe, und tatsächlich, der Ehrensold war kein Thema, der Ausdruck fiel nur zweimal am Rande), ver­mutlich also hat sich die geschätzte Journaille bereits am Donners­tag so gefühlt, wie ich mich heute: Restlos abgefüllt mit Ehrensold, dass man keinen Papp mehr sagen kann. Also: Ab jetzt ist Ruhe. Aber immer nur ein paar Seiten. Kleine Häppchen, die mich in Schwung bringen, an den ei­genen Text zu gehen. Zum Schreiben brauche ich Texte, die mich antreiben. Texte, die eine Stimmung er­zeugen. Es geht nicht um die Stimmung, die sie beschreiben, son­dern um die Stimmung, die beim Lesen entsteht. Dass diese anre­gende Stimmung sich einstel­len kann, hängt nicht davon ab, ob es Ähnlichkeiten in der Auswahl von Personen, Zeiten, Orten, Moti­ven und Stilen gibt. Oft ergibt sich der Effekt gerade dann, wenn der andere Text von etwas ganz anderem handelt oder auch formal ganz anders gestaltet ist. So in etwa wie wenn man morgens beschwingt in den Tag geht, weil man Lloyd Cole & The commotions im Radio gehört hat, die, hörte man genau hin, von einem verlorenen Wo­chenende in einem Amsterda­mer Hotel singen, wo der Sänger mit einer doppelten Lungenent­zündung darniederliegt und nur die Kos­ten seiner Medizin noch kränker sind, als er selbst. Dies alles bietet wenig Anlass, be­schwingt in den Tag zu gehen, und doch kann man beim Hö­ren in ausnehmend heitere Stimmung geraten.

Ich bin inzwischen heiter genug, um niederzuschreiben, wie die Ich-Erzählerin meines Romans neben ei­nem fremden Angler am Aasee in Münster sitzt, Musik hört, raucht und auf dem Angler­rucksack, der mit handgeschriebenen Sprüchen übersät ist, liest: Dicke Kin­der sind schwerer zu kidnappen. Bier und Hanf gehörn zum Kampf! Optimismus ist nur ein Mangel an Information. – So, eine halbe Seite ist vollgeschrieben. Das muss für heute reichen. Ist ja schließlich Wochenende.





4. März 2012

Auch die Fachleute von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszei­tung scheinen wegen möglicher Übersättigung mit dem Thema kei­nen Papp mehr sagen zu können. Einzig auf der Rubrik Meinung findet sich ein kurzer Kommentar, in dem Eckart Lohse informiert, dass Erwin Lotter Ermittlungen wegen Untreue gegen die Entschei­dungsverantwortlichen im Bundespräsidialamt fordere. Anschlie­ßend schiebt Herr Lohse dem populistischen Sturm der Entrüstung, der inzwischen mit gemessenen 84 Umfrageprozent für Wulffs Ver­zicht auf den Ehrensold durchs Land weht, ein Stöck­chen vor, in­dem er folgendes zu bedenken gibt: Alle Vorgänger Wulffs haben den Ehrensold unabhängig von ihrer Leistung erhal­ten. Wulffs Ver­fehlungen betreffen seine Tätigkeit als Ministerprä­sident. Eine Be­strafung dafür kann sich nicht auf Leistungsansprü­che aus seiner Tätigkeit als Bundespräsident beziehen. Die Straf­würdigkeit besag­ter Verfehlungen ist noch gar nicht festgestellt. Wulff war bislang politisch erfolgreich, jetzt führt er ein Leben als Entehrter – eine an sich schon ziemliche Strafe. Diese Strafe könnte er nur durch einen teilweisen oder vollständigen Verzicht auf den Ehrensold mildern, getreu der Devise: Weniger Sold, mehr Ehre.

Mir leu­chet eigent­lich alles ein, was Herr Lohse sagt, so würde ich z.B. als Chefärztin auch nicht hinnehmen, dass mir am Gehalt her­umgeschnippelt wird, weil ich während meiner Zeit als Oberärztin mei­nen Freun­dinnen immer das hochwertige Silikon eingebaut habe, den arro­ganten Millionärszicken, die es natürlich wollten und es natürlich auch bezahlten, jedoch das minderwertige, das nach sie­ben Jahren wahrscheinlich explodiert. Nur in einem Punkt bin ich mir nicht ganz sicher, und zwar in punkto: Weniger Sold, mehr Ehre. Stimmt das nicht nur für den kleinen Augenblick der großen Geste? Die Bildzeitung wird schreiben: Wahnsinn! Wulff verzichtet auf Ehrensold! Jetzt ist er einer von uns, ein ehrlicher kleiner Mann!!! - Was aber ist danach? Wenn Wulff unbesoldet zuhause sitzt, die unbezahlten Rechnungen sich häufen, Frau und Kinder mal wieder was anständiges essen wollen, statt nur Tütensuppe mit Goldähren Sandwich-Toast, ja, besteht dann nicht die Gefahr, dass er auf dumme Gedanken kommt und etwas macht, was nun gar nicht ehrenhaft ist und wofür er, wenn die Sache auffliegt, erst recht an den Pranger gestellt werden würde? Das heißt, liegt mögli­cherweise – zumindest on the long run – nicht viel mehr Wahrheit in der entgegengesetzten Devise: Weniger Sold, weniger Ehre??



Es nützt nichts, die Bügelwäsche macht sich nicht von alleine. Sonntags 13.30 läuft im Deutschlandfunk die Sendung Zwischentö­ne, bei der ich normalerweise ganz gut bügeln kann. Zum heutigen Gespräch ist ein Autor und Filmemacher eingeladen, den ich nicht kenne und dessen Namen ich sofort wieder vergesse. Denn sobald ich auf das Bügelbrett schaue, sehe ich vor mir Bilder, unendlich viele Bilder in schneller Abfolge, die einen Film ergeben.

Erste Se­quenz: Auf der Terrasse eines Hauses in Großburgwedel steht der A.D.-Bundespräsident und schaut stolz in seinen Garten. In der Hand hält er eine kleine Tasse, in der leicht geschäumter Nes­presso dampft. Der A.D.-Bundespräsident denkt an George Clooney, mimt dessen Lächeln und vibriert vor Freude, dass man ihm die Kapsel nicht hat abluchsen können. Ihm doch nicht. Er nimmt ein Schlückchen und stellt entspannt das rechte Bein noch ein wenig weiter nach rechts. An den Füßen trägt er die nigelnagel­neuen Garten-Holzschuhe, die der Paketbote gestern aus Waltrop gebracht hat. Sie sind aus Pappelholz, das Obermaterial ist aus Rindleder. Gute niederländische Wertarbeit, diese Klompen, und gar nicht mal so teuer. Die kaum ausgebleichte Jeans sitzt bequem über den Hüften, das blau-weiß karierte Oberhemd ist am Kragen­knopf geöffnet und der ausrangierte, aber immer noch sehr gut er­haltene Kaschmirpullover ist leger über die Schultern gelegt, seine Ärmel vor der Brust verknotet. Fesch schaun´S aus Majestät, hätte die Lisl von Possenhofen gesagt. Indem kommt die Lisl von Groß­burgwedel ins Bild. Sie lenkt eine Schubkarre voll von Hornveil­chen in den bundeslandestypischen Farben. Den Kragen ihres pin­ken Poloshirts trägt sie hochgeschlagen und lacht dazu frisch und lebensbejahend wie aus einem Katalog von Lands´ End. Majestät ruft ihr zu: Bettina, pflanz dort die Blumen ein. Bettina, zieh dir bitte Handschuh an.

Zweite Filmsequenz: Stell dir vor, Schatz, sagt der A.D.-Bundes­präsident als er vom Arbeitszimmer zurück zum Frühstückstisch schreitet, der Schäuble hat uns Personal, Büro und Dienstwagen be­willigt. Au fein, ruft Frau Wulff und klatscht in die Hände. Ja, und das Tollste kommt ja noch, pass auf, ich habe mir überlegt, da es bestimmt nicht viele Anfragen, Briefe und Einladungen geben wird, könnten wir das Ganze doch auch selber, ganz ohne fremde Leute, stemmen. Fahren, Faxen und Fotokopieren werden wir doch wohl auf die Reihe kriegen. Zur Not stellen wir deine Mutter ein. Und oben den Dachboden lassen wir uns als Amtsbüro ausbauen. Oh, genial, das ist eine superspitzenklasse Idee. Frau Wulff trommelt vor Freude mit ihren Fäusten auf den Frühstückstisch aus honiggel­bem Pinienholz. Schau, sagt der A.D.-Bundespräsident, zusammen mit dem Ehrensold kämen wir im Jahr auf eine knappe halbe Milli­on. Das ist zwar nicht so viel, wie der Carsten und die Veronika pro Jahr einfahren, aber wir haben dafür auch viel weniger Stress. Oh, du, Schlawiner, jubelt Frau Wullf und fällt dem zukünftigen Fahrer, Faxer und Fotokopierer des gegenwärtigen A.D.-Bundespräsiden­ten in die Arme. – Schon ist die Bügelwäsche schrankfertig.

 

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