Als der Lebensmensch vom Tagewerk zurückkommt und Wochenende! ruft, zucke ich zusammen, weil ich ich an Tagewerk, neben ein paar dringenden Haushaltsverrichtungen und dem Schreiben böser Emails betreffs unseres neuen, nach drei Monaten einseitig ausgeleierten Sofas, nicht viel mehr vorzuweisen habe als stundenlanges Internetsurfen in Sachen Wulff.
Mir rast die Zeit davon, stöhne ich. Beneidenswert, sagt der Lebensmensch, bei mir zieht sich die Woche wie Gummiarabicum. Na, jetzt ist ja erstmal Wochenende, sage ich. Wär nur schön, wenn auch das mal was von Gummiarabicum hätte, sagt der Lebensmensch und macht eine gute Miene zum bösen Spiel. Der Hund versucht, sich brummelnd Gehör zu verschaffen. Dieses Brummeln hat er sich vor ein paar Monaten angewöhnt. Genügte früher sein rassenspezifisches Schnaufen, um auf sich aufmerksam zu machen, so äußert er seit neuestem eigenwillige Gesprächsbeiträge. Es klingt wie eine Mischung aus Räuspern, Brummen und an- und abschwellendem Dauerton. Ich nenne diese Art Ausdrucksweise der Einfachheit halber nur Brummeln. Circa 70% des täglichen Brummelns gilt der Nahrungsaufnahme, der Rest verteilt sich auf Kraulbefehle oder die Kommentierung von sonderbaren Vorkommnissen im Garten, sofern diese Vorkommnisse nicht als feindliche Angriffe interpretiert werden, wie das zum Beispiel der Fall ist, wenn plötzlich Katzen oder Eichhörnchen über seinen Grund und Boden huschen oder die verhassten Tauben, Dohlen oder Elstern um seinen Gartenteich hüpfen. In solchen Fällen wird natürlich gebellt.
Die Stoßrichtung seiner gerade gebrummelten Gesprächsbeiträge ist unschwer zu erkennen: Er will uns darauf hinweisen, dass wir jetzt endlich Kaffeetrinken sollen, normalerweise bekomme er gegen 15.00 Uhr seine Kuchenkrümel und inzwischen sei es schon halb vier. Wir beeilen uns, der Hund brummelt währenddessen dies und das, was mich in diesem Moment so nervt, dass er ein halbes trockenes Brötchen erhält, mit dem er sofort ins Körbchen abhaut, damit ihm nur ja niemand seine Beute wegnehmen kann. Der Lebensmensch hat prima Milchschaum auf den Kaffee gezaubert, wir rühren behutsam braunen Zucker hinein und greifen zu den Apfeltaschen, da brummelt es unterm Tisch.
Fast hätte ich für den Rest des Tages die Finger vom Internetsurfen gelassen, wäre am frühen Abend nicht gemeldet worden, dass das Wulffsche Privathaus durchsucht worden sei. Darüber muss ich mehr erfahren. Focus online titelt: Bevor das LKA kam, verließ Bettina Wulff das Haus. - Der Besuch war offenbar alles andere als ein Überraschungsbesuch. Die Ermittler, so heißt es, wollten bereits einen Tag zuvor durchsuchen, hätten wegen der zahllosen Pressevertreter jedoch wieder kehrt gemacht und sich für heute um 17.15 Uhr angemeldet. Da hatten Herr und Frau Wulff genügend Zeit, ihr Heim, in dem sie seit dem Rücktritt vor zwei Wochen wieder wohnen, schön aufzuräumen, damit alles ordentlich ist, wenn der Schutzmann zweimal klingelt. Allzuviel Zeug, das weggeräumt werden müsste, wird in dem unaufdringlichen Klinkerbau vermutlich gar nicht herumstehen, gilt doch die alte Regel: Dreimal umgezogen ist so gut wie einmal abgebrannt. Für den Staatsanwalt und die fünf Kriminalbeamten bedeutete das gewiss ein sauberes Arbeiten. Gegen 21.00 Uhr soll man sich dann schon wieder verabschiedet haben. Schönes Wochenende, ja Danke, Ihnen auch, und Danke für die Kooperation, bitte gerne, selbstverständlich, alles Gute, Ihnen auch.
Sollte es die Ermittler auf ihrem Heimweg gelüstet haben, noch schnell in der nahen Trattoria, Pasta e Vino, einen Feierabendwein oder -imbiss zu sich zu nehmen, wurden sie mit Sicherheit enttäuscht. Denn beim Stammitaliener des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und ehemaligen deutschen Bundespräsidenten brummt der Laden (gar mit Brummeln unterm Tisch?), und das obwohl der Expräsident zur Zeit nicht mehr hier einkehrt, was selbstverständlich nur mit den vielen Schaulustigen an den Tischen zu tun hat und überhaupt nichts mit dem sympathischen Wirt, Tonino Algieri, der jahrelange Kundentreue nicht wegen ein paar schlechter Schlagzeilen verrät, sondern sich schützend vor den, ja, vielleicht darf man sogar sagen, Freund stellt und offen erklärt: Ich finde das unmenschlich, was gemacht wird mit dieser Familie. Das geht unter die Gürtellinie. - Dem kann der Kellner Nicola nur beipflichten, der das Ganze nochmal unter heimatlichen Gesichtspunkten beleuchtet, wenn er sagt: Da sind wir in Italien ganz anderes gewohnt mit Berlusconi. - Womit er wahrscheinlich ganz Recht hat. Ist eben alles eine Frage der Perspektive, wie die Systemiker sagen.
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