Ruhestand. Dokumentationsroman einer moralischen Entrüstung - 5

Als der Lebensmensch vom Tagewerk zurückkommt und Wochen­ende! ruft, zucke ich zusammen, weil ich ich an Tagewerk, neben ein paar dringenden Haushaltsverrichtungen und dem Schreiben böser Emails betreffs unseres neuen, nach drei Monaten einseitig ausgeleierten Sofas, nicht viel mehr vorzuweisen habe als stunden­langes Internetsurfen in Sachen Wulff.

Mir rast die Zeit davon, stöhne ich. Beneidenswert, sagt der Lebensmensch, bei mir zieht sich die Woche wie Gummiarabicum. Na, jetzt ist ja erstmal Wo­chenende, sage ich. Wär nur schön, wenn auch das mal was von Gummiarabicum hätte, sagt der Lebensmensch und macht eine gute Miene zum bösen Spiel. Der Hund versucht, sich brummelnd Ge­hör zu verschaffen. Dieses Brummeln hat er sich vor ein paar Mo­naten angewöhnt. Genügte früher sein rassenspezifisches Schnau­fen, um auf sich aufmerksam zu machen, so äußert er seit neues­tem eigenwillige Gesprächsbeiträge. Es klingt wie eine Mischung aus Räuspern, Brummen und an- und abschwellendem Dauerton. Ich nenne diese Art Ausdrucksweise der Einfachheit halber nur Brum­meln. Circa 70% des täglichen Brummelns gilt der Nahrungsauf­nahme, der Rest verteilt sich auf Kraulbefehle oder die Kommen­tierung von sonderbaren Vorkommnissen im Garten, sofern diese Vor­kommnisse nicht als feindliche Angriffe interpretiert werden, wie das zum Beispiel der Fall ist, wenn plötzlich Katzen oder Eich­hörnchen über seinen Grund und Boden huschen oder die verhass­ten Tauben, Dohlen oder Elstern um seinen Gartenteich hüpfen. In sol­chen Fällen wird natürlich ge­bellt.

Die Stoßrichtung seiner gerade gebrummelten Gesprächsbeiträge ist unschwer zu erkennen: Er will uns darauf hinweisen, dass wir jetzt endlich Kaffeetrinken sollen, normalerweise bekomme er ge­gen 15.00 Uhr seine Kuchenkrümel und inzwischen sei es schon halb vier. Wir beeilen uns, der Hund brummelt währenddessen dies und das, was mich in diesem Moment so nervt, dass er ein halbes trockenes Bröt­chen erhält, mit dem er sofort ins Körbchen abhaut, damit ihm nur ja niemand seine Beute wegnehmen kann. Der Lebensmensch hat prima Milchschaum auf den Kaffee gezaubert, wir rühren behutsam braunen Zucker hinein und greifen zu den Apfeltaschen, da brum­melt es unterm Tisch.



Fast hätte ich für den Rest des Tages die Finger vom Internetsurfen gelassen, wäre am frühen Abend nicht gemeldet worden, dass das Wulffsche Privathaus durchsucht worden sei. Darüber muss ich mehr erfahren. Focus online titelt: Bevor das LKA kam, verließ Bettina Wulff das Haus. - Der Besuch war offenbar alles andere als ein Überraschungsbesuch. Die Ermittler, so heißt es, wollten bereits einen Tag zuvor durchsuchen, hätten wegen der zahllosen Presse­vertreter jedoch wieder kehrt gemacht und sich für heute um 17.15 Uhr angemeldet. Da hatten Herr und Frau Wulff genügend Zeit, ihr Heim, in dem sie seit dem Rücktritt vor zwei Wochen wieder woh­nen, schön aufzuräumen, damit alles ordentlich ist, wenn der Schutzmann zweimal klingelt. Allzuviel Zeug, das weggeräumt werden müsste, wird in dem unaufdringlichen Klinkerbau vermut­lich gar nicht herumstehen, gilt doch die alte Regel: Dreimal umge­zogen ist so gut wie einmal abgebrannt. Für den Staatsan­walt und die fünf Kriminalbeamten bedeutete das gewiss ein sauberes Arbei­ten. Gegen 21.00 Uhr soll man sich dann schon wieder verabschie­det haben. Schönes Wochenende, ja Danke, Ihnen auch, und Danke für die Kooperation, bitte gerne, selbstverständlich, alles Gute, Ih­nen auch.

Sollte es die Ermittler auf ihrem Heimweg gelüstet haben, noch schnell in der nahen Trattoria, Pasta e Vino, einen Feierabendwein oder -imbiss zu sich zu nehmen, wurden sie mit Sicherheit ent­täuscht. Denn beim Stammitaliener des ehemaligen niedersächsi­schen Ministerpräsidenten und ehemaligen deutschen Bundespräsi­denten brummt der Laden (gar mit Brummeln unterm Tisch?), und das obwohl der Expräsident zur Zeit nicht mehr hier einkehrt, was selbstverständlich nur mit den vielen Schaulustigen an den Tischen zu tun hat und überhaupt nichts mit dem sympathischen Wirt, Toni­no Algieri, der jahrelange Kundentreue nicht wegen ein paar schlechter Schlagzeilen verrät, sondern sich schützend vor den, ja, vielleicht darf man sogar sagen, Freund stellt und offen erklärt: Ich finde das unmenschlich, was gemacht wird mit dieser Familie. Das geht unter die Gürtellinie. - Dem kann der Kellner Nicola nur beipflichten, der das Ganze nochmal unter heimatlichen Gesichts­punkten beleuchtet, wenn er sagt: Da sind wir in Italien ganz ande­res gewohnt mit Berlusconi. - Womit er wahrscheinlich ganz Recht hat. Ist eben alles eine Frage der Perspektive, wie die Systemiker sagen.

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