Völker hört die Signale, steht über dem Titelfoto der Frühstückszeitung. Kein Kampfruf ans lustige Völkchen der Rentner, Wassergymnastiker und Therapeuten, gegen die Ehrensold-Entscheidung endlich auf die Straße zu gehen, sondern die banale Überschrift zu einem für heute nun gar nicht erwartbaren Thema, wie der Plakatagitation in Nordkorea. Ansonsten nichts zur Meldung des vorgestrigen Tages, nicht mal eine 12-Zeilen-Notiz, auch das Feuilleton schweigt.
Die beugen sich der Macht des Faktischen, meint der Lebensmensch, die wissen einfach, dass an der Entscheidung nicht zu rütteln ist. Trotzdem! Man hätte doch zum Beispiel Achim von Arnim interviewen können. Die ganze Zeit schreiben sie standhaft auf den Rücktritt hin und jetzt bei dieser Folgegeschichte machen sie nichts, das verstehe ich nicht! Vielleicht hat es damit zu tun, dass man nicht nachtritt, wenn jemand schon am Boden liegt, mutmaßt der Lebensmensch und verabschiedet sich mit einem Kuss in die Welt derer, die nach anderthalb Jahren im Staatsdienst nicht mit einer lebenslangen Pension von monatlich 16 583 Euro netto belohnt werden.
Kurz darauf finde ich doch noch einen Beitrag: Auf der ersten Seite steht ein zweispaltiger Kommentar unter der Überschrift: Ehre ist Zwang genug. Den hatte ich vermutlich wegen dieser zum Thema nun gar nicht erwartbaren Überschrift und wohl auch wegen der drei grellen nordkoreanischen Propagandaplakate einfach übersehen. Viermal fange ich an, den Kommentar zu lesen, aber es will mir nicht gelingen. Ständig schweife ich in Gedanken ab, weil ich an meine Zeit in Münster denken muss, denn dort habe ich genau diese Überschrift schon einmal gelesen. Sie steht in der Stuckdekoration über einem Kamin, der sich im großen Saal des Krameramtshauses befindet, und heißt ursprünglich: Ehr is Dwang gnog. Dieser westfälischen Weisheit werden der Hund und ich beim Spaziergang am Deich nachdenken.
Es scheint eine Art Fluch des Vergessens zu herrschen: Mittwochabend habe ich vergessen, die Abendnachrichten plus höchstwahrscheinlichem ARD-Brennpunkt zu schauen, gestern Abend habe ich vergessen, die Harald-Schmidt-Show einzuschalten. Letztere habe ich in letzter Zeit zwar schon mal öfter verpasst bzw. verschlafen, weil ich seit ein paar Monaten morgens zwischen fünf und sechs Uhr aufstehe, um den Roman Ripple-Effekt zu schreiben, aber an einem bedeutsamen Tag wie dem der ersten Ehrensold-Zahlung hätte mir das Versäumnis eigentlich nicht passieren dürfen. Also google ich erstmal: Harald Schmidt Ehrensold. Es gibt einen Hinweis auf einen Twitter-Eintrag von Harald Schmidt, da steht: Merkel ist gegen Ehrensold für Wulff. Stattdessen soll er an die Frau von Egon Geerkens ausgezahlt werden. - Der Spruch datiert vom 18. Februar, ist somit gar nicht aktuell, wenngleich man ihm eine gewisse zeitlose Gültigkeit nicht absprechen kann.
Ich gerate auf eine Seite von WELT ONLINE, die Schmidts Sprüche heißt und mir folgendes Zitat präsentiert: Wulff wird immer der Berlusconi der Herzen bleiben. Naja, denke ich, mh. Dasselbe mache ich, nachdem ich gelesen habe, Wulff könne doch den Posten des griechischen Finanzministers übernehmen. Während ich ein zweites Mal Mh mache, gerate ich unten auf der Seite in die Leser-Kommentare und stelle verblüfft fest, dass die gar nicht mal so sehr Anti-Wulff, sondern vielmehr Anti-Schmidt gehalten sind. Von mittelmäßigem Clown, ist da die Rede, der peinlich sei wie Paolo Pinkel (kenn ich nicht, google ich aber nicht, sonst komm ich am Ende von Hölzchen auf Stöckchen!), auch ist die Rede von Rheumadecken und Butterfahrten, Selbstverliebtheit und A-Karte-Zeigen. Ein franz1943 (manchmal sagt ein Pseudonym mehr als tausend facebook-Daten) schreibt: da staubt der Kerle fast 6.000.000€ Zwangsgelder ab und regt sich über Wulf auf-Charakter wie ein Gartenschlauch.krumm und dreckig! - Zuerst denke ich: Mann, Mann, wieder so einer, der dem Wulff eine Lebenserwartung von nur noch dreißig Jahren ausrechnet, bis ich merke, dass hier einiges gar nicht zusammenpasst: Zwangsgelder? Wulff, der sich über sich selber aufregt? Es muss sich hier also um einen weiteren Anti-Schmidt handeln. Ich kann mich erinnern, dass die Honorarhöhe, für die Herr Schmidt bei der ARD damals verpflichtet wurde, umstritten war, aber ob es sich um 6 000 000 Euro gehandelt hat, weiß ich nicht mehr. Ist es vorstellbar, dass wir GEZ-Zahler tatsächlich so viel dafür bezahlt haben? So viel in wievielen Jahren eigentlich? Wievielen genau, weiß ich nicht, aber es waren sicher nicht dreißig Jahre plus der zwanzig Monate aktiver Saatsdienstzeit. Und was ist mit Thomas Gottschalk? Soll der jetzt nicht ebenfalls sechs Millionen bei der ARD verdienen? Und wie war das mit Diego bei Werder Bremen und beim beim Vfl Wolfsburg? 6 000 000 – eine ominöse Zahl.
Weniger unheimlich, sondern eher mehr sehr heimatlich, mutet der finale Vergleich in diesem Anti-Schmidt-Kommentar an: Charakter wie ein Gartenschlauch.krumm und dreckig! Ich weiß ja nicht, wie der Gartenschlauch von franz1943 aussieht, aber wenn er krumm und dreckig ist, und das sage ich hier als begeisterte Gartenfreundin, dann ist er nicht gut zu gebrauchen. Will franz1943 genau das über den Charakter von Herrn Schmidt sagen? Darf er das überhaupt? Oder hat er etwas anderes sagen wollen und nur nicht die richtigen Worte gefunden? Von Stund an geht mir der Spruch mit all seinen möglichen Variationen nicht mehr aus dem Kopf. Ein Charakter wie ein Gartenschlauch, biegsam und durchlässig, grün und rot, gelb und schwarz, fies und billig, stramm und speckig, klamm und klöterig, geknickt und keiner geht hin, falsch und muss umgetauscht werden, … Hilfe! Warum hilft mir denn niemand und schüttet mir ein Glas Wasser ins Gesicht, auf dass ich wieder klar werde? Ich muss doch den Roman weiterschreiben!
Kommentar schreiben